Umfassende Nutzerprofile: Tinder und der Datenwahn

Umfassende Nutzerprofile Tinder und der Datenwahn

Da haben wir gerade erst über die richtige Dosis persönlicher Informationen beim Kennenlernen auf Singlebörsen berichtet, da holt die Liebesuchenden die Realität ein. Besser gesagt: Tinder.

Es ist irgendwie klar gewesen, dass Tinder Daten über seine User sammelt. Nicht zuletzt basieren darauf Matching-Vorschläge. Der Umfang und die Art der Daten überrascht dann aber doch. Das legt zumindest ein Erfahrungsbericht einer britischen Journalistin nahe, die Tinder mehrere Jahre als Suchportal für die Liebe nutzte. Sie forderte die Betreiber auf, alle über sie gesammelten Daten offen zu legen. Nach viel Hick-Hack gab es einen detaillierten Bericht. Umfang: rund 800 Seiten.

Welche Daten Tinder offenbar sammelt

Tinder ist eine App, die unter anderem Zugriff auf das Facebook-Profil fordert. Außerdem fragt die Software Einstellungen zu verschiedenen Bereichen wie Politik und Religion ab. Das dahinter stehende US-amerikanische Unternehmen steht wegen dieser Verknüpfung von Partnersuche und Datensammlung bereits seit Längerem in der Kritik. Außerdem sammelt Tinder Daten für Werbetreibende. Eingeblendete Anzeigen und Promotionvideos wischen die Nutzer nämlich wie Singles nach links (kein Interesse) oder rechts (interessant) weg.

Der aktuelle Fall aus Großbritannien ist jedoch überraschend und erschreckend zugleich. Es mag sein, dass in Zeiten von Google und Facebook niemand mehr ernsthaft an die Hoheit über die eigenen Daten denkt. Dass Tinder aber ein Nutzerprofil über 800 Seiten Daten sammelt, dürfte dann doch überraschen.

Tinder-Profile: Welche Daten hat die Plattform?

Zu den gesammelten Daten gehörten unter anderem persönliche Angaben, Kontakte, Chatverläufe und weggewischte Profile. Das wäre soweit zu erwarten gewesen. Es waren jedoch unter anderem auch darunter: inzwischen längst gelöschte Fotos eines alten Accounts bei Instagram, Likes auf Facebook und Reaktionen auf Werbung sowie vieles andere. Das klingt noch hinnehmbar? Jeder Nutzer von Tinder sollte sich jedoch darüber im Klaren sein, was das bedeutet: Die Datensammlung ist über Querverbindungen zu Werbetreibenden und anderen Plattformen zugleich jedoch laut Pressebericht Basis, welche Werbung eingeblendet wird, welche Versicherungsangebote ein Nutzer erhält, welche Stellenangebote er auf linkedin.com und anderen Plattformen sieht und vieles mehr.

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Datensammlung bei Tinder: Ist das wirklich so schlimm?

Einige Daten sind Basis für ein sinnvolles Matching. Wer nichts von sich preisgibt, wird keine passenden Partnervorschläge erhalten. Aber was Tinder macht, geht weit darüber hinaus. Die Betreiber sammeln Daten, die nicht für den Betrieb der Single-App erforderlich sind. Sie verkaufen damit Werbung und erzielen Gewinne mit den – eigentlich nicht erforderlichen Daten – ihrer Kunden. Vor dem Hintergrund, dass Tinder kostenpflichtig ist, werden Singles hier ausgenutzt. „Ich habe ja nichts zu verbergen!“ – das hört man häufig als Gegenargument. Doch! Denn die Daten werden nicht nur gegen viel Geld verkauft. Sie haben direkten Einfluss auf Angebote, die Tinder-Nutzer erhalten. Wer bestimmte Präferenzen hat, einen bestimmten Freundeskreis auf Facebook hat, freizügige Fotos auf Instagram veröffentlicht, über gefährliche Hobbys berichtet oder offenbar nur billig einkauft oder entsprechende Werbung klickt bzw. wischt, erhält teurere Versicherungsangebote, schlechtere Stellenangebote, keinen Kredit usw. Das Ausmaß der gesammelten Daten geht weit über das hinaus, was Nutzer hinnehmen sollten.  Also: Ja, es ist schlimm! Die Hoheit der Daten und persönlichen Vorlieben gehört nicht in die Hand eines Unternehmens.

Tinder entzieht sich EU-Recht

Da ist es nur eine Randerscheinung, dass der Weg zur Datenfreigabe im vorliegenden Fall schwierig war. Nutzer sollten sich darüber im Klaren sein, dass Tinder ein US-Angebot ist. Das Unternehmen hat keinen Sitz in Deutschland oder der EU, es bietet nicht einmal Nutzungsbedingungen oder Datenschutzbestimmungen auf Deutsch. Obwohl das Angebot grundsätzlich EU-Recht und den restriktiven Datenschutzbestimmungen der Europäischen Union unterliegt, können Tinder-Nutzer gegen Missbrauch kaum rechtlich vorgehen.

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Tinder: Was Nutzer gegen die Datensammelwut unternehmen können

Es ist schwer, Nutzern einen Ratschlag zu geben. Wer die Tinder-App auf seinem Smartphone hat, sucht die große Liebe oder einen prickelnden Flirt. An Daten denkt dabei kaum jemand. Dass diese in die Hände Dritter fallen und möglicherweise sogar indirekt oder direkt die eigene Zukunft mehr oder weniger stark beeinflussen können, ist ebenso kaum präsent. Wer sich für Tinder entscheidet, sollte das zumindest wissen.

Dennoch haben alle Singles viele Alternativen. Die großen und als seriös einzustufenden Singlebörsen aus Deutschland haben inzwischen alle gut funktionierende Apps. Die Daten sind dort nach den strikten Regeln deutscher und europäischer Gesetze besonders geschützt. Spätestens im Mai 2018 sind diese mit der General Data Protection Regulation noch besser geschützt. Das verhindert keinen Missbrauch, gibt jedem Single jedoch das Gefühl, kein gläserner User zu sein, dessen Zukunft von einem Wisch abhängen könnte.

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