Der Begriff der Asexualität mag vielen fremd sein, dennoch rückt er mehr und mehr in den Vordergrund, insbesondere, weil Magazine und Foren ihn aus der Anonymität geholt haben.
Asexuelle Personen haben kein Verlangen nach Sex, verspüren keine sexuelle Lust oder sexuelle Anziehung und das auch unabhängig vom Geschlecht.
Verschiedentlich wurde oder wird versucht, Ursachen für Asexualität zu finden, oder gar ein „Krankheitsbild“ daraus zu kreieren. Asexualität wird nach heutigem Stand der Dinge als „angeboren“ angesehen und hat keine typischen Ursachen.
Asexuelle Menschen können gleichwohl intensive und romantische Liebesbeziehungen führen und auch Sex mit sich und anderen haben, der sich jedoch für die asexuelle Person auf einer anderen Ebene abspielt. Für viele ist das dann in etwa so wie Wäsche waschen oder Abspülen, eher absolut belanglos und nur ein mechanischer Ablauf. Man könnte auch sagen, das Gehirn ist dann vom Körper getrennt, denn die sexuelle Euphorie, die bei Nicht-Asexuellen im Spiel ist, fehlt hier.
Dass dies in unserer sexorientierten Welt allerdings nicht ganz unproblematisch oder einfach ist, dürfte klar sein. Wie viele Menschen ihrem Empfinden nach asexuell sind, ist nicht bekannt, da hier eine große Scham besteht, sich zu outen.
Was Asexualität ist und nicht ist
Asexualität bedeutet nicht zwangsläufig, keinen Sex zu haben oder sexuelle Handlungen ausführen zu können. Die „körperliche“ Fähigkeit zur Erregung ist vorhanden, wobei sie je nach Typus unterschiedlich empfunden wird. Auch mangelt es Asexuellen nicht grundsätzlich am Sexualtrieb (Libido).
Asexuelle Menschen, abgekürzt ASS, in monogamen Paarbeziehungen können sexuelle Handlungen wie den Geschlechtsverkehr einvernehmlich mit dem Partner durchführen, um dessen sexuelle Bedürfnisse zu befriedigen. Da der Asexuelle jedoch keine sexuellen Bedürfnisse hat, empfindet er auch keine emotionale Erregung oder Befriedigung. Das stellt jedoch keine Belastung für ihn dar, unter der er leidet.
Eine generelle Abneigung oder Ekel vor sexuellen Handlungen ist ebenso wenig gegeben wie Verklemmtheit oder Frigidität. Asexualität hat auch nichts mit Enthaltsamkeit, also dem bewussten Verzicht auf Sex, zu tun.
Asexualität ist kein vorübergehender Zustand und tritt auch nicht spontan nach langer Zeit mit einem ausgefüllten Sexualleben auf. Asexualität entsteht nicht durch traumatische Ereignisse oder schlimme Erfahrungen. Es liegt weder eine organische noch psychische Störung zugrunde. Der Begriff meint auch nicht, dass eine sexuelle Anziehung erst nach einer lange vorangegangenen emotionalen Bindung plötzlich einsetzt. Asexualtität ist, ganz einfach gesagt, eine schon immer vorhandene sexuelle Orientierung, die weder zu ändern, noch in irgendeiner Weise zu therapieren ist.
Asexuelle können sehr wohl eine emotional tiefe und romantische Beziehung zu anderen eingehen, wobei diese geschlechtsunabhängig (hetero-, homo-oder bisexuell) sein kann. Sie werden von Attraktivität oder besonderen Eigenschaften einer Person angezogen, sexuelle Reize hingegen haben auf sie keine Wirkung. Asexuelle tauschen auch Zärtlichkeiten aus, küssen und umarmen sich oder können lange Kuschelabende auf der Couch mit dem Partner verbringen.
Asexualität wird nicht selten mit nachlassender Lust assoziiert und dementsprechend Ursachen für eine Beeinträchtigung der Libido gesucht und gefunden, wie z. B. hormonelle Veränderungen bei Frauen in der Menopause, ein zu geringer Testosteronspiegel bei Männern sowie Erkrankungen oder Nebenwirkungen von Medikamenten. Oft kommt auch Stress als mögliche Erklärung für die fehlende sexuelle Lust in Frage. Mit Asexualität hat nachlassende Lust jedoch nichts zu tun.
Ein sexuell gemindertes Verlangen bei Frauen, das in der Medizin als Hypoactive sexual desire disorder (HSDD) bezeichnet wird, zeigt sich durchaus mit den Merkmalen der Asexualität identisch, wobei allerdings ein entscheidender Aspekt die Asexualität wieder ausschließt: Frauen, die kein Verlangen nach sexuellen Aktivitäten haben (dauerhaft oder wiederkehrend) leiden unter diesem Umstand. Zudem kann HSDD durch Verhaltenstherapie oder Psychoanalyse behandelt werden.
Unterschiedliche Schattierungen der Asexualität
Ob eine Person asexuell ist, stellt sie für sich selbst fest. Es gibt auch Tests, um herauszufinden, ob man asexuell ist. Asexualität kennt jedoch keine stringente Linie, sondern kann sich je nach Individuum in unterschiedliche Schattierungen zeigen. Es ist also durchaus genauer zu differenzieren.
So kann sich eine asexuelle Person zu einer anderen Person emotional, romantisch, intellektuell hingezogen fühlen, sich verlieben und den Wunsch nach einer innigen Beziehung verspüren, ohne dass ein Bedürfnis nach Sex besteht.
Die emotionale, romantische oder intellektuelle Anziehung kann nur schwach oder gar nicht vorhanden sein. Diese Asexuellen verlieben sich nicht. Dieser asexuelle Typus wird als Aromantiker bezeichnet.
Die sexuelle Erregbarkeit bzw. der Sexualtrieb zeigt sich ebenfalls unterschiedlich ausgeprägt. Für die einen ist es eher ein banaler Vorgang, dem sie keine Bedeutung zumessen, andere wiederum empfinden die Erregung als nervig, ärgerlich oder unangenehm. Bei einigen ist die Masturbation durchaus eine Option, es fehlt aber das Verlangen nach Geschlechtsverkehr mit einer anderen Person. Und dann gibt es noch den Typus, der kaum oder gar keine sexuelle Erregung verspürt.
Beziehungsmodelle für Asexuelle
In einer Gesellschaft, in der Sex einen hohen Stellenwert hat, haben es Asexuelle schon schwierig. Sex ist überall, mal mehr, mal weniger stark präsent, sexuelle Anziehung wird in Beziehungen meist schweigend vorausgesetzt. Potenz und Libido werden auch mit Macht und Stärke gleichgesetzt.
Asexuelle brauchen Beziehungsmodelle, in denen sie sich wohl und gut aufgehoben fühlen. Daneben stellt sich die Frage, ob sie mit einer Person, die nicht asexuell ist, eine Beziehung führen wollen und können, oder ob der Partner ebenfalls asexuell orientiert sein soll. In der Praxis kommt es auf den genauen Typus der Asexualität an, wie ein Beziehungsmodell und mit wem aussehen kann.
Jede Art von Beziehung, die Asexuelle eingehen, sollte aber grundsätzlich von der offenen Bekenntnis zur eigenen sexuellen Orientierung geprägt sein. Wer seine Asexualität verschweigt oder versucht, zu vertuschen, wird in der Beziehung unglücklich oder scheitern. Denn die Fassade kann nicht dauerhaft aufrechterhalten werden. Asexuelle, die sich permanent zum Sex mit dem Partner zwingen müssen, bauen einen extrem hohen Leidensdruck auf, der schließlich auch zum Ende der Beziehung führt.
Eine monogame Partnerschaft auf emotionaler oder romantischer Basis ist mit einem asexuellen Partner ebenso möglich wie mit einem hetero-, homo- oder bisexuellen Partner. Die Konstellation ASS + ASS ist dabei in der Tat einfacher. Eine ausschließliche Beziehung mit einem nicht asexuellen Partner kann funktionieren, wenn dieser akzeptiert, dass die Liebe sich nicht über die sexuelle Interaktion definiert, sondern davon losgelöst ist. Oftmals wird eine Übereinkunft getroffen, dass ab und an Sex stattfindet, um dem Partner „einen Gefallen“ zu tun. Das darf jedoch nicht zum Zwang für den Asexuellen werden. Umgekehrt darf der Verzicht auf sexuelle Interaktion auch für den Nicht-Asexuellen keine Belastung sein. In solchen Beziehungskonstellationen, die sich auf Mann und Frau beziehen, kann auch ein Kinderwunsch erfüllt werden.
Leichter tun sich Asexuelle mit einer offenen Beziehung, in welcher der Nicht-Asexuelle seine sexuellen Bedürfnisse mit anderen, außerhalb der Beziehung befriedigen kann. Auch hier stehen Offenheit und das Einverständnis beider Partner an erster Stelle.
Asexuelle in einer von Sex dominierten Gesellschaft
Das klingt wie die Maus in der Löwengrube – Und in der Tat tut sich die sexuelle Gesellschaft mit dem Verständnis für die Asexualität schwer. Genau dieses Unverständnis grenzt die Asexualität auch von anderen sexuellen Orientierungen ab. Es entspricht eben nicht dem klassischen Weltbild, dass Menschen keine Lust und keine Verlangen nach sexueller Interaktion haben. Wer sich als Asexueller „outet“, den schauen große fragende Augen an. Daher werden Asexuelle auch weniger wahrgenommen oder im schlimmsten Fall als „anormal“ abgestempelt. Während Homosexualität weitestgehend im modernen Gesellschaftsbild ihren Platz gefunden hat und Bisexualität eben „geduldet“ wird, scheint Asexualität wie ein leeres Blatt Papier, das gefüllt werden muss. Deshalb ist es nicht einfach, mit seiner Orientierung nach außen zu gehen. Dann finden sich vielleicht lästige „Bekehrer“, die meinen, dass dies doch noch irgendwie zu ändern sei.
Vielmehr sollte die Gesellschaft akzeptieren, dass es Asexuelle genauso wie Homosexuelle, Bisexuelle, Heterosexuelle, Intersexuelle schon immer gegeben hat und sie keine Zeiterscheinung sind. Die Welt verändert sich und mit ihr auch der Zugang zu anderen Lebens- und Liebesformen. Die weltweite Vernetzung von Menschen durch das Internet, unendliche Kommunikationskanäle und Mut bringen Verborgenes ans Licht. Und es schadet auch gar nicht, Liebe einmal losgelöst vom Sex zu sehen. Sex hat nicht nur positive Seiten, er kann auch Druck und Stress erzeugen, zwischenmenschliche Probleme verursachen und Menschen an den Abgrund bringen. Liebe ohne Sex funktioniert genauso wunderbar wie Sex ohne Liebe. Wer das versteht, der kann sich der Asexualität vorurteilsfrei nähern.
Netzwerke für Asexuelle zum Austausch oder Kontakte knüpfen
Information, Austausch und Kommunikation sind für Asexuelle besonders wichtig, denn sie sollen nicht im Verborgenen leiben. Das international ausgerichtete Netzwerk Aven ist Aufklärungsplattform und Forum für Asexuelle, ihre Partner und Freunde und alle, die sich für das Thema interessieren. Es beinhaltet auch einen Chat sowie Möglichkeiten der Partnersuche. Zudem werden regelmäßige Treffen organisiert. Für Asexuelle, die gezielt einen Partner suchen, bietet sich die spezielle Singlebörse asexuell-partnersuche.de an.